Transparente Energiewende

„Was macht die Energiewende in meinem Vorgarten?“

In Sachsen-Anhalt werden bereits mehr als 60% des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt. Mittel- bis langfristig sollen es 100% werden. Geht das überhaupt? Und wenn, dann wie? Was bedeutet das für Landschaftsschutz und Bürger? Über die Vor- und Nachteile möglicher Entwicklungen wird gern und viel gestritten, selten aber hat man dabei alle Parameter vollständig im Blick. Das will die Energieavantgarde Anhalt ändern. Am 25. Juni stellt sie den Interaktiven Energieatlas im Umweltbundesamt in Dessau vor.

20. Juni 2019

„Was macht die Energiewende in meinem Vorgarten?“

Obwohl laut jüngsten Umfragen über 90 Prozent der Deutschen die Energiewende für nötig halten, stören sich die meisten von uns an Windkraftwerken und neuen Stromnetzen im Landschaftsbild. Viele finden die Energiewende sozial ungerecht.

Für Thies Schröder von der Energieavantgarde Anhalt ist klar, dass es den Kritikern darum geht, wie die Energiewende umgesetzt wird, nicht ob. Denn die generelle Notwendigkeit des Klimaschutzes wird, wie alle Umfragen bestätigen, von fast allen als notwendig angesehen. „Der Einsatz für eine bessere Verteilung von Nutzen und Lasten der Energiewende kommt manchen Bürgern vor wie der sprichwörtliche Kampf gegen Windmühlen. Viele können einfach nicht sehen, wie man überhaupt etwas mitgestalten kann.“

Mitwirken an konkreten Entscheidungen

Beispiel Windkraft: In Anhalt stehen besonders viele Windräder. Die gehören meist Investoren, während die Einwohner für den der Windkraft geschuldeten Netzausbau höhere Netzentgelte zahlen. „Wer sich dann gegen die Windmühle im eigenen Vorgarten wehrt, gilt dann schnell als Don Quixote, als Wutbürger. Darum wollen und müssen wir am einzelnen und konkreten Beispiel zeigen, welche Auswirkungen Projekte haben bzw. nicht haben, und wie Bürger auf unmittelbare Entscheidungen einwirken können.“

Dafür hat die Energieavantgarde zusammen mit dem Reiner Lemoine Institut aus Berlin einen interaktiven Energieatlas Anhalt entwickelt, welcher kommunalen Politikern, Projektierern, Planern und Bürgern hilft zu sehen, was ist und was sein könnte. „Es nützt ja nichts, sich immer wieder gegenseitig zu unterstellen, dass der andere keine Ahnung hat und nicht bis drei zählen kann,“ sagt Schröder. „Unsere digitalen Karten verdeutlichen auf Basis der aktuellen Zahlen, wie und wo die Energiewende in Anhalt fortgeschritten ist: Standorte der verschiedenen Erzeugungsanlagen, Größe der Areale, Erzeugung, Lastgang. Sie zeigen aber auch auf, welche Flächen aufgrund von Landschafts- oder Denkmalschutzvorgaben nicht zur Verfügung stehen.“ 

„Bin ich eigentlich dafür oder dagegen?“

„Wenn wir wirklich ernst machen wollen mit dem Klimaschutz, dann müssen wir komplett auf Erneuerbare umstellen,“ sagt Schröder. „Viele Menschen wissen nicht, was das bedeutet. Wo können überhaupt noch Windparks gebaut werden? Eignen sich die vorhandenen Anlagen für ein Repowering? Was passiert, wenn mehr Speicher zugebaut, striktere Energieeinsparungsvorgaben gemacht oder mehr Dachflächen für PV genutzt werden? „Verschiedene Szenarien zu Fragen der Energiespeicherung, Effizienz, Repowering usw. zu visualisieren, hilft dabei herauszufinden, ob man eigentlich für oder gegen etwas ist.“

Abwägen zwischen Klima-, Natur- und Landschaftsschutz

Gerade rund um Dessau mit dem UNESCO Weltkulturerbe ergeben sich ganz alltägliche Probleme bei der Genehmigung von Windenergieanlagen. Marion Schilling, Leiterin der regionalen Planungsgemeinschaft, kann ein Lied singen davon singen: „Wir müssen zwischen Klima- und Natur- und Landschaftsschutz abwägen und die Interessen aller Betroffenen berücksichtigen. Daher haben wir hohe Erwartungen an den Energieatlas, um vor der endgültigen Entscheidung so genau wie möglich darstellen zu können, was passieren kann.“

Nicht nur die Landschaft verspargeln

Schröder geht es auch darum, deutlich zu machen, wie ein regionales System, in dem die verschiedenen Sektoren wie Strom, Wärme und Mobilität enger miteinander verknüpft werden, zu Effizienzgewinnen führt und zur regionalen Wertschöpfung beiträgt. „Wir wollen ja nicht einfach die Landschaft weiter ‚verspargeln‘, wie manche vielleicht denken“.

Schröder weiter: „Ministerpräsident Reiner Haseloff hat vor kurzem zu Recht kritisiert, dass die Anhalter Bürger nicht einmal von dem Steueraufkommen profitieren, das durch institutionelle Anleger hier generiert wird. Und es gibt darüber hinaus zahlreiche andere Möglichkeiten, Bürger auch finanziell zu beteiligen, bzw. die Belastungen durch zu hohe Netzentgelte zu senken. Mit solchen Modellen befasst sich die Energieavantgarde“.  

Am 25. Juni möchte die Energieavantgarde im Umweltbundesamt am Wörlitzer Platz gemeinsam mit Planern, Politikern und Bürgern den interaktiven Energieatlas in der Region Anhalt anwenden und diskutieren. Los geht’s um 15 Uhr.

Wer das Werkzeug ausprobieren möchte, kann dies schon jetzt auf der Seite des Reiner Lemoine Instituts tun. Und wer Fragen zur Nutzung hat, bringt diese direkt zum Workshop mit.

Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung vom 15./16. Juni 2019

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